VergabeWelt +++ März 2021 +++
Compliance-Management-System – Wunderwaffe zum Nachweis der Zuverlässigkeit im Vergabeverfahren?!
Die Sicherstellung der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben, sog. Compliance, ist in Vergabeverfahren von zentraler Bedeutung. Dies gilt für öffentliche Auftraggeber und Unternehmen gleichermaßen, denn ein stetig steigendes Maß an Transparenz und Gleichbehandlung zur Sicherung eines fairen Wettbewerbs fordert die Einhaltung von externen Bestimmungen sowie internen Vorgaben und Richtlinien.
Als große Nachfragemacht stehen öffentliche Auftraggeber im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Geschehens. Somit haben sie aber auch und insbesondere die Verpflichtung, die vielfältigen gesetzlichen Vorgaben durchzusetzen und damit ein transparentes und regelkonformes Vergabeverfahren durchzuführen.
Für Unternehmen ist Compliance – und damit einhergehend Gesetzestreue und Zuverlässigkeit – in Vergabeverfahren eine der wichtigsten Voraussetzungen, um öffentliche Aufträge zu erhalten. Rechtsverstöße können für Unternehmen zu strengen Restriktionen und damit schweren Folgen führen. Nach den §§ 123, 124 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) können dies u.a. Betrug, Bestechung und Geldwäsche, aber auch Verstöße gegen umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen sein. Möglich ist dies aber nicht nur im konkreten Vergabeverfahren, sondern auch dann, wenn frühere Aufträge bei öffentlichen Auftraggebern mangelhaft durchgeführt wurden.
Um Ausschlüsse im Vergabeverfahren zu vermeiden, sollten Unternehmen zunächst ein den Anforde-rungen entsprechendes Compliance-Management-System implementieren. So können Unternehmen besser sicherstellen, dass einschlägige Gesetze, interne Richtlinien und Arbeitsanweisungen allen Mitar-beitern bekannt sind und auch von diesen beachtet werden. Bei der Identifizierung der für das Unter-nehmen relevanten Regelungen im Hinblick auf vergaberechtliche Verfahren, helfen hier die Kataloge der §§ 123, 124 GWB. Wird im Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens ein fakultativer Ausschluss-grund i.S.d. § 124 GWB festgestellt, könnte sich das Vorhandensein eines wirksamen Compliance-Management-Systems insoweit positiv auswirken, als der Auftraggeber dies in seine Entscheidung über einen Ausschluss vom Vergabeverfahren mit einbezieht. Grundsätzlich jedoch trägt ein wirksames Com-pliance-Management-System zu einer Verhinderung von Normverstößen für das Unternehmen bei.
Jüngst hatte sich der EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Art. 57 Abs. 6 der RL 2014/24/EU einer Praxis entgegensteht, in der ein Wettbewerber Nachweise über sog. self-cleaning-Maßnahmen unaufgefordert einreichen muss, um dem Auftraggeber zu beweisen, dass er trotz des Vorliegens eines Ausschlussgrundes die nötige Zuverlässigkeit aufweist, und, ob Art. 57 Abs. 6 RL 2014/24/EU unmittelbare, nationale Wirkung entfaltet.
Der EuGH stellte insoweit klar, dass eine Pflicht, derartige Nachweise unaufgefordert einzureichen, sich eindeutig und unmittelbar aus den Auftragsunterlagen oder aber aus einem Verweis auf die einschlägigen nationalen Regelungen ergeben muss. Gleichwohl bestätigte der EuGH in Anbetracht des bloßen Wortlautes des Art. 57 Abs. 6 RL 2014/24/EU, dass die den Wirtschaftsteilnehmern eingeräumte Möglichkeit, den Nachweis für ergriffene Abhilfemaßnahmen zu erbringen, ebenso aus eigenem Antrieb erfolgen kann. Dies gebiete neben den Grundsätzen der Transparenz, der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte. Auch zu der weiteren Frage hat sich der EuGH positioniert. Er stellte klar, dass es möglich ist, sich auf Bestimmungen einer Richtlinie vor den nationalen Gerichten zu berufen, wenn diese inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind und wenn die Richtlinie nicht fristgemäß oder unzulänglich in nationales Recht umgesetzt wurde. Sofern eine fristgemäße Umsetzung der Richtlinie 2014/24/EU daher in nationales Recht nicht erfolgt ist, entfaltet die Bestimmung des Art. 57 Abs. 6 unmittelbare Wirkung. Die Vorschrift ist inhaltlich unbedingt und hinreichend genau und sieht zugunsten der Wettbewerber einen Mindestschutz vor. Damit darf ein Wettbewerber nicht von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, wenn dieser zur Zufriedenheit des öffentlichen Auftraggebers nachweisen kann, dass die ergriffenen Abhilfemaßnahmen seine Zuverlässigkeit trotz des Vorliegens eines Ausschlussgrundes wiederherstellen.
Sich mit Compliance-Management auseinanderzusetzen ist damit nicht nur sinnvoll, sondern kann auch Ausschlüsse von Vergabeverfahren vermeiden.